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BISCHOF Rainer

Meditatio mortis (2011)

Untertitel
Harmoniemusik für Oboe, Englischhorn, Klarinette, Bassklarinette, Horn, Tenortuba, Fagott und Kontrafagott
Erscheinungsdatum
2011

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Beschreibung

Meditatio mortis, also ein „Nachdenken über den Tod“ nennt Rainer Bischof sein neues Werk – eine „Harmoniemusik“, wie der Untertitel angibt, womit musikhistorisch die reine Bläserbesetzung bezeichnet wird. Freilich: „Ein Stück in der klassischen Besetzung, also mit je zwei Oboen, Klarinetten, Fagotten und Hörnern hielt ich in der heutigen Zeit aus verschiedenen Gründen für problematisch“ bekennt der Komponist, ist aber „nach längerem Nachdenken“ auf eine eigene, sehr reizvolle Besetzung gekommen, in der die Instrumente nicht verdoppelt werden, sondern jeweils die Nebeninstrumente der gleichen Familie dazu kommen, also Englischhorn, Bassklarinette, Tenortuba und Kontrafagott – „soweit ich weiß übrigens das erste Stück in dieser Art. Vor allem mit der Tenortuba kann man unglaublich weiche Klänge erzielen“, zeigt sich Bischof begeistert. „Meditatio mortis ist ein Wort des Adam von Fulda, der wesentlich mit dem Zeitbegriff zusammenhängt.“ Adam von Fulda, um die Mitte des 15. Jahrhunderts geboren und 1505 in Wittenberg an der Pest gestorben, war ein Komponist, Musiktheoretiker und Humanist, der nicht zuletzt mit seinem Traktat De Musica (1490) einflussreich gewirkt hat. „So kam ich auf die Idee, die Harmoniemusik von diesem Zeitbegriff her zu beleuchten und das Werk in ein musikalisches Kleid zu hüllen, das sich wesentlich mit der Zeit und damit mit dem Tod auseinandersetzt.“ Die Assoziationen sind jedoch komplex und nicht auf eine einzige Ebene beschränkt: „Ich würde nicht sagen, dass es sich um eine eigentliche Trauermusik handelt.“ Vielmehr fließen in das Stück einige Ideen und Zitate ein, die, wie immer bei Bischof, auf die große abendländische Musiktradition verweisen. „Klang wie Glocken“ steht da immer wieder über einzelnen Akkorden: „Das bezieht sich auf den zweiten Satz der Großen C-Dur-Symphonie meines geliebten Franz Schubert – die Horn- und Klarinettenstellen dort klingen wie Totenglocken.“ Ein guter Dirigent, betont Bischof sofort, müsse den Musikern da erklären, dass diese liegenbleibenden Töne erst nach kurzer Verzögerung den vollen Klang erreichen – eben wie eine Glocke. Die Struktur ist übersichtlich und klar: Eine getragene Adagissimo-Einleitung in vollen, ruhigen Akkorden und gleichem Rhythmus in allen Stimmen geht dem Stück voran, vereint feierlichen Gestus mit expressiver Zwölftonmelodik – und wird am Schluss durch eine transformierte, aber als ähnlich erkennbare Gestalt mit langen Liegeklängen ausbalanciert, die zuletzt in einer Fermate im Pianissimo verklingen. Auf diesen beiden Säulen ruht das Werk, welches dazwischen in fünf Variationen dem Thema neue, oft ungewöhnlich erscheinende Facetten abgewinnt – von zärtlichen solistischen Girlanden bis hin zum dramatisch gepeitschten, wilden Tumult. „Der Kontrast ist für mich eines der wichtigsten Gestaltungselemente in der Musik“, betont Bischof – und erzählt, wie er gerade vor kurzem wieder einmal und aufs neue bestürzt war von den späten Beethoven-Quartetten in der Interpretation durch das LaSalle-Quartett sowie von Glenn Goulds erster Aufnahme von Bachs Goldberg-Variationen. In beiden Fällen führt er dabei das Wort „Wahnsinn!“ im Mund, sowohl vom kompositorischen als auch vom interpretatorischen Blickwinkel her. „Diese Kraft der Kontraste fehlt mir heute etwas – und wenn es mir gelänge, etwas davon in meine Musik einfließen zu lassen, wäre ich der glücklichste Mensch. Beethoven späte Quartette sind, davon bin ich restlos überzeugt, die experimentellste Musik überhaupt. Was sich da ereignet!“ Und auf die Goldberg-Variationen kompositorisch zu reagieren, überlegt Bischof – trotz ehrfurchtsvollen Zögerns. „Wenn es ernst gemeint ist, sollte doch jedes Stück ein Experiment sein. Wir sind doch als Menschen von der Vollkommenheit immer weit entfernt – was immer wir machen, es ist und bleibt unvollkommenes Menschenwerk.“ Nicht genug damit, dass Bischof immer wieder ausdrücklich einen Trauermarschgestus beschwört („Tempo di marcia funebre – sehr streng – wie ein Kondukt“), er versieht diesen auch mit einem überraschenden Querverweis: „Marcia funebre austriaca, schleppen wie ein 'Blues'“ heißt es an einer Stelle wörtlich. „Für mich ist das Wesentliche an der Musik nicht primär das Erklingen, sondern die Bewegung. Die Musik als Kunst imitiert den Menschen, imitiert zwei miteinander verbundene unerlässliche Elemente des Lebens: nämlich den Atem und den Blutkreislauf. Wenn Sie betrübt sind, werden ihr Puls und ihre Bewegungen langsamer sein; wenn Sie heiter sind, strahlen, lachen, werden sie 'allegro' sein. Das versuche ich auch mit meiner Musik auszudrücken. Daher sehe ich auch unglaubliche Verwandtschaften zwischen österreichischem Trauermarsch im 6/8-Takt, Tango, Walzer – und Blues! Was ist der Blues? Der Blues ist ein Begräbnistanz. Die schweren, schleppenden Bewegungen eines Leichenzuges in New Orleans, die in der Musik zum Ausdruck kommen, ich habe sie vor fast 30 Jahren dort einmal erlebt. Das wollte ich auch in diesem Stück ausdrücken. Natürlich ist es etwas völlig anderes als ein Blues, aber es ist im selben Geist ersonnen. Wir müssen wegkommen von einer einseitigen Musikbetrachtung, die vom hohen Ross aus nur Bach und seine Nachfahren gelten lässt. Es gibt so viel Herrliches im Jazz soviel Ausdrucksstarkes, Intensives, Hinreißendes, es gibt Chansons von der Dimension des Erlkönig! Echte Kultur muss arroganzlos sein.“ Hat der Komponist Rainer Bischof bei alldem die Dodekaphonie je für sich in Frage gestellt? „Natürlich! Nur glaube ich heute mehr denn je an ihre Weiterführung – und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie gibt mir die für mein musikalisches Denken notwendige Sicherheit. Sie schränkt mich nicht ein, weil ich mit ihr umgehen kann. Ich tüftle lange herum, bis ich die Reihe habe und kann mich nicht erinnern, jemals eine zweimal verwendet zu haben – weil jedes Stück eine andere Reihe verlangt, das heißt: andere Intervalle.“ Mit dem scherzhaften Epitheton eines „Zwölfton-Dinosauriers“ kann Bischof gut leben. „Ja, ich bin ja einer der letzten – aber ich frage mich: warum? Dieses System kann so viel, bietet so viele Möglichkeiten: Ich lasse mich nicht von ihm terrorisieren, ich nehme es aber trotzdem ernst. Also: Ich habe die Dodekaphonie für mich in Frage gestellt, bin aber immer wieder zu ihr zurückgekehrt. Mich engt sie nicht ein. Mich macht sie frei.“ Harmoniemusik: Der Begriff ließe sich freilich auch in einem wörtlichen, unmittelbaren Sinne deuten. Denn bei allem Reichtum an expressiven Kontrasten und emotionaler Dringlichkeit könnte man Bischofs neues Werk auch als Zeugnis einer übergeordneten Harmonie ansehen. „Tod, Verbannung und alles andere, was furchtbar erscheint, halte dir täglich vor Augen, vor allem aber den Tod, und du wirst niemals schäbige Gedanken haben oder etwas maßlos begehren“, heißt es schon beim Stoiker Epiktet im 1./2. Jahrhundert nach Christus. Bischof hat Meditatio mortis dem bildenden Künstler Herwig Zens zugeeignet, seinem „Freund und Bruder im Geiste des Todes“, wie der Komponist wörtlich schreibt. Das Nachdenken über das Ende – es befreit, bringt uns ins Reine mit dem Dasein. Rainer Bischofs Schreibtisch ziert ein Totenschädel. Musik und Philosophie werden eins.   Walter Weidringer, Oktober 2011

Rezension

"[...] Rainer Bischof (64), einer der vielseitigsten Komponisten Österreichs mit schöpferischen Wurzeln in der Zweiten Wiener Schule. Sein neues Opus Meditatio mortis, also ein Nachdenken über den Tod, trägt den Untertitel 'Harmoniemusik', die keineswegs als Trauermusik verstanden werden will. Darin erzielt er reizvolle Klangeffekte, die das klar strukturierte zehnminütige Werk ungemein weich und feierlich machen und in Staunen über die Expressivität des Zwölftons versetzen." (Georgina Szeless, Neues Volksblatt)